
Als absoluter Disney-Fan sollte man sich vorher gut überlegen, ob man mit der romantisch verklärten Version Moglis bricht und die tatsächlichen Abenteuer des bei den Wölfen aufgewachsenen Jungen liest, denn die Vorlagen sind so ganz anders als alles, was uns Walt Disney mit wunderhübsch gezeichneten Bildern auf dem Bildschirm präsentiert. Angefangen damit, dass Shir Khan, der große Bösewicht, dem natürlich ein Film-Showdown am Ende gesichert ist, gleich zu Anfang des Romans stirbt. Aber er stirbt nicht nur, er wird von Mogli höchstpersönlich und mit voller Absicht getötet und gehäutet. Im Anschluss daran trägt der kleine Junge stolz das Tigerfell in den Dschungel und präsentiert den anderen Bewohnern seine Tat. Zugegeben: Shir Khan hatte angekündigt, Mogli umzubringen, aber wer nur Disneys Version kennt, ist zunächst schockiert, einen Mogli kennenzulernen, der todesmutig, angriffslustig, hinterhältig und brutal sein kann. Eine weitere Überraschung ist die Schlange Kaa. Auch sie wird uns im Film als böse Kreatur vorgestellt. Zwar posaunt sie nicht offen heraus, dass sie Mogli töten will, doch ihn mit ihren Augen zu hypnotisieren, ihn einzuwickeln, um ihn dann zu fressen, das wird jedem klar, der den Film sieht. Ganz anders in der Vorlage: Kaa ist eine sehr gute Freundin von Mogli. Zu Beginn des Romans, als Mogli noch sehr jung ist, rettet sie ihm das Leben, indem sie die Affenhorde, die Mogli entführt hat, in Schach hält, weil es Balu und Bagheera gegen die Vielzahl von Affen alleine nicht schaffen. Immer wieder jagen Mogli und die Python zusammen, tauschen sich aus, schmieden Pläne und retten das ganze Wolfsrudel vor den Rothunden, die – nebenbei bemerkt – die eigentliche Gefahr im Dschungel sind. Moglis vielfältige Abenteuer bieten noch viel mehr: Ausflüge zu den Menschen, die ihn am Ende jagen und töten wollen, eine Anstellung im indischen Staatsdient als Wildhüter und die Heirat mit einem muslimischen Mädchen, dessen Vater überhaupt nicht begeistert ist.
Zwischen den Kapiteln wird immer wieder das Gesetz des Dschungels in Auszügen präsentiert. Darin gibt es hochinteressante Passagen, die erklären, wie man sich im Dschungel zu verhalten hat; dass beispielsweise der Wasserfrieden von Hathi, dem Elefanten, der natürlich kein Colonel ist, ausgerufen werden kann. Dieser besagt, dass wenn der Wasserstand in der Trockenzeit so niedrig ist, dass die Tiere zu verdursten drohen und es nur noch ein Wasserloch gibt, es verboten ist, an diesem Jagd auf das Wild zu machen. Daran halten sich alle Tiere, auch wenn Bagheera, den wir im Film als liebevolles Kätzchen kennenlernen, droht, von seinem Fleischhunger übermannt zu werden.
Die Mogli-Geschichten sind durchaus lesenswert, das Dschungelgesetz in Versen geschrieben sehr kunstvoll, aber man ist doch in seinen Kindheitserinnerungen gefangen und summt leise „Probier’s mal mit Gemütlichkeit“.
J.P.