Kazuo Ishiguro: Alles, was wir geben mussten

Die Vorstellung, dass man auf eine Organspende angewiesen ist, erscheint Einem nicht verlockend. Die Vorstellung, man könnte sich an seinem Ersatz-Klon bedienen, um seine zerstörte Leber zu ersetzen, erscheint abgefahren. Die Vorstellung, das Leben eines Spenders zu kennen, der hofft, nach drei Spenden noch nicht zu sterben, erscheint grausam. Und genau diese Grausamkeit wird im Roman so geschickt von den Kindern im Internat ferngehalten, dass es dem Leser wie ein Wunder erscheint, mit welcher Naivität, mit welchem Desinteresse, mit welcher neutralen Haltung sie ihrer vorgeschriebenen Zukunft entgegen schreiten. Und im nächsten Moment fragt man sich, ob es vielleicht nur vordergründig nach Naivität, nach Desinteresse, nach Neutralität aussieht, ob nicht im tiefsten Innern ihrer Seele Angst, Traurigkeit und Widerwillen schwelt. Oder ist es Resignation, die die drei Protagonisten Kathy, Ruth und Tommy umtreibt, wenn sie in der Schule zeichnen, Fußball spielen, Kassetten hören und all die Dinge tun, die normale Kinder auch tun?

Der Leser wird auf eine Reise durch eine Kindheit und Jugend mitgenommen, die auf den ersten Blick normal erscheint. Der Subtext jedoch lässt innerlich die Fragen aufkeimen, vor denen sich die Protagonisten hüten. Und wenn doch einmal jemand etwas anspricht, das den Leser brennend interessiert, dann wissen die Schüler aus Hailsham um dessen Brisanz und lassen das Thema fallen.

Der Literaturnobelpreisträger hat diesen Roman so raffiniert und doch so einfach geschrieben, dass man mit jeder Seite gespannt auf die nächste ist. Am Ende bleiben einige Fragen offen, was jedoch nicht verstört. Verstörend ist nur, dass die Vorstellung von geklonten Menschen als Ersatzteillager im 21. Jahrhundert gar nicht mehr so abwegig erscheint. Ein absoluter Pageturner – meisterhaft erzählt!

J.P.

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