
Ein paar Wochen vor Ostern herrschte im Zoo Hochbetrieb. Der Frühling war eingetroffen und viele Tiere trauten sich aus ihrem Unterschlupf ins Freie. Wer Winterschlaf gehalten hatte, erwachte, und wer gelangweilt dem Dauerregen zugesehen hatte, tollte nun durch saftige Wiesen und erfreute sich an den Blumen.
Auch die Besucher strömten wieder in den Zoo. Die Kinder liefen mit bunten Luftballons an den Händen die vielen Wege entlang und riefen „Schau mal, die Erdmännchen!“ oder „Boah, da ist ein Delphin im Wasser!“
Es schien ein wunderbares neues Jahr für den Zoo zu werden.
Falsch gedacht…!
Denn abends, wenn der Zoowärter und die Tierpfleger schlafen gingen, wenn alle Besucher den Zoo längst verlassen hatten, wenn die nervigen Affen in ihren Matten schaukelnd eingeschlummert waren, dann traf sich der Rat der Tiere, um aktuelle Probleme zu besprechen.
Meistens waren es keine wirklich schlimmen Probleme. Mal ging es um Hubert Hippo, der den anderen das Essen wegfraß. Mal ging es um Kevin Krokodil, der seine Zähne nicht putzen wollte. Und immer mal wieder ging es um Pius Papagei, der nicht nur tratschte, sondern gemeine Lügen verbreitete.
An diesem einen Abend jedoch – zwei Wochen vor Ostern – traf sich der Rat der Tiere aufgrund eines viel schlimmeren, viel größeren Problems.
Der Vollmond stand bereits hoch oben am dunklen Himmel, kein Mucks war aus einem der Gehege zu hören – nur im Wolfsgehege leuchteten hellwach die Augen der vier Mitglieder des Rates.
Auf einem Baumstumpf, der neben einer hohen Tanne stand, thronte Lupus Leitwolf, der Anführer des Rates. Er blickte herrschaftlich in die Runde und fragte ein Ratsmitglied nach dem anderen, was wohl aktuell das größte Problem im Zoo sei.
Zuerst trat Karl, der Löwe hervor, kratzte sich mit seiner rechten Tatze die Strubbelmähne, und räusperte sich ein paar Mal.
„Lupus, alter Geselle! Es ist schrecklich. Es geht um das Wildgehege…“
Lupus Leitwolf gähnte ausgiebig und sah Karl, den Löwen gelangweilt an.
„Nicht schon wieder die streitenden Böcke, oder…? Wenn sie nicht Frieden geben, kümmere ich mich selbst um ihr Geweih!“
„Nein, nein“, entgegnete Karl, der Löwe, eilig. „Es geht um … die Hasen.“
„Die Hasen? Was ist mit den Hasen? Die Hasen haben nie Probleme!“ Lupus Leitwolf wirkte plötzlich nicht mehr gelangweilt. Er spitzte seine Ohren und rückte näher an Karl, den Löwen, heran.
„Es ist so, Lupus! Es geht ganz speziell um einen Hasen.“
„Um einen Hasen?“ Jetzt war Lupus Leitwolf endgültig neugierig. Endlich mal ein neues Problem. Kein Hubert Hippo, kein Kevin Krokodil, kein Pius Papagei.
„Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht, wie er heißt…“, Karl, der Löwe sah sich hilfesuchend um.
„Aber ich, aber ich…“, meldete sich Elias Elefant zu Wort und drängte sich nach vorne zum Baumstumpf.
„Herr Leitwolf, es geht um Olaf Osterhase!“
„Olaf Osterhase? Nie gehört…!“ Lupus Leitwolf legte fragend den Kopf schief.
„Ja, Herr Leitwolf!“
„Nun gut, soll er heißen, wie er will … ist ja auch egal. Was ist nun also das Problem?“ Langsam wurde Lupus Leitwolf ungeduldig.
„Herr Leitwolf, er ist krank!“ Elias Elefant ließ traurig den Rüssel hängen, während Karl, der Löwe, zustimmend nickte.
„Das soll das aktuelle Problem sein?“ Lupus Leitwolf richtete sich auf. „Was ist denn das für ein Problem? Irgendein Karnickel hat Löffelschmerzen und dafür schlage ich mir die Vollmond-Nacht mit euch um die Ohren? Da ist mir ja schon fast Kevin Krokodil lieber…“ Lupus Leitwolf wollte gerade den beiden den Rücken zudrehen, als sich das letzte Ratsmitglied einmischte.
„Aber Jungs, ehrlich! Ihr müsst das unserem Anführer auch richtig erklären. Das Wichtigste zuerst! Alles muss man selber machen…“
Und damit drängte sich Pia, das Alpaka, nach vorne und blickte Karl und Elias abschätzig an.
„Das Problem, Lupus, ist folgendes: Olaf ist doch … der Osterhase! Und in zwei Wochen ist Ostern. Er ist krank. Und es sind nicht bloß Löffelschmerzen – er ist in Quarantäne.“
„Quarantäne?“, mischte sich Elias ein. „Was ist das?“
Karl, der Löwe, räusperte sich erneut und setzte zum Erklären an: „Quarantäne bedeutet, dass er nicht mehr in seinem Gehege ist. Er wurde zur Tierärztin in die Praxis gebracht und muss da mindestens zwei Wochen bleiben, damit die anderen Mitbewohner in seinem Gehege nicht auch krank werden.“
„Ach du Schreck!“ Elias biss sich beinahe auf die Stoßzähne. „Aber in zwei … in zwei … in zwei Wochen ist doch schon Ostern. Und ohne Olaf… ohne Olaf…“
„Ja, genau, ohne Olaf…“, ergänzte Karl, der Löwe.
„Ohne Olaf“, erklärte Pia, das Alpaka, „ist Ostern verloren. Er bemalt schon seit Wochen die Ostereier für die Kinder, die im Zoo danach suchen werden. Aber es sind längst nicht genug. Und viel schlimmer noch: er kann sie nicht verteilen. Was sollen wir nun tun, Lupus?“
Lupus Leitwolf hatte sich die Sorgen der Ratsmitglieder angehört und überlegte einen Moment. Aber er wäre nicht Leitwolf gesehen, hätte er nicht längst eine Idee im Kopf gehabt.
„Unser Plan, liebe Ratsmitglieder, sieht folgendermaßen aus. Jeder von euch holt sich morgen früh im Wildgehege bei den Hasen eine Fuhre unbemalte Eier ab, dann werdet ihr von morgens bis abends Ostereier bemalen.“
„Und du?“, fragte Karl, der Löwe argwöhnisch.
„Ich werde Olaf Osterhase in der Quarantäne aufsuchen. Vielleicht kann ich ihn am Fenster sprechen, wenn man schon nicht zu ihm hineindarf. Ich werde Zettel und Stift mitnehmen und seinen Ostereier-Versteck-Plan notieren, damit der Rat der Tiere sie verstecken kann.“
Mit diesem weisen Plan des Leitwolfs waren alle einverstanden. Und so trug es sich zu, dass ein jeder von ihnen in sein Gehege lief und schon bald fest schlief. Lupus Leitwolf hingegen heulte noch kurz den Vollmond an und legte sich dann, zufrieden mit seiner Entscheidung, in seinen Wolfsbau.
Am nächsten Tag tat ein jeder, wie ihm geheißen.
Schon bald hatte sich Karl, der Löwe, eine Schubkarre voll unbemalter Ostereier abgeholt. Auch Elias trug zwei Körbe voll. Und Pia, das Alpaka, zog einen Karren hinter sich her. Sogar Lupus Leitwolf stellte sie eine kleine Schale vor seinen Wolfsbau.
Als die Sonne bereits hoch am Himmel stand, kehrte Lupus Leitwolf triumphierend von der Tierarztpraxis zurück. Wie befürchtet, hatte ihn die Tierärztin, so süß er auch geschaut hatte, nicht zu Olaf hingelassen, aber er hatte am Hinterausgang ein kleines Fenster gefunden, durch das er mit Olaf hatte sprechen können. Nun hatte Lupus Leitwolf einen vollständigen Ostereier-Versteck-Plan. Es konnte nichts mehr schiefgehen.
Falsch gedacht!
Am Abend traf der Rat der Tiere erneut im Wolfsgehege zusammen und Lupus Leitwolf schaute in verzweifelte Gesichter.
Zunächst sprach Karl, der Löwe.
„Lupus, alter Geselle. Es ist zum Brüllen. Ich kann keine Ostereier bemalen. Sie sind so klein und … meine Tatzen so groß. Einmal mit der Kralle gestreift, und die Schale zerplatzt. Mein Käfig ist voll mit Eierpampe.“
Lupus Leitwolf runzelte die Stirn.
Dann sprach Elias Elefant.
„Herr Leitwolf, es ist zum Tröten. Ich kann keine Ostereier bemalen. Meine Füße sind so breit – ich trampel sie aus Versehen alle kaputt. Mein Elefantenhaus ist voll mit Eierpampe.“
Lupus Leitwolf wirkte bereits leicht zornig.
Dann sprach Pia, das Alpaka.
„Lupus, Bester! Es ist zum Spucken! Ich kann auch keine Ostereier bemalen. Ich habe zwar keine großen Tatzen mit Krallen und keine Riesenfüße, aber meine Füße sind Hufe. Ich kann nicht einmal den Pinsel halten. Was sollen wir nur tun?“
Lupus Leitwolf wollte gerade zum Ausdruck seiner Wut losheulen, als ihm eine Idee kam. Er war ja schließlich Lupus Leitwolf.
„Meine lieben Ratsmitglieder. Ich verstehe eure Probleme. Aber dennoch müssen die Eier fertig bemalt werden. Wenn ihr es allerdings nicht mit dem Pinsel könnt, so wie Olaf Osterhase, müsst ihr euch etwas anderes einfallen lassen. Ich zum Beispiel…“, Lupus Leitwolf nahm ein unbemaltes Osterei in die eine Pfote und tunkte seine andere in blaue Farbe, „stemple ganz vorsichtig meine Pfote auf das Ei. So ist es zwar nicht ganz bemalt, aber es sieht doch verziert aus.“
Die drei Ratsmitglieder trauten ihren Augen nicht.
Das vormals weiße Ei hatte nun eine blaue Wolfspfote.
„Na ja…“, murmelte Karl, der Löwe.
„Oh, toll!“, rief Elias.
„Das ist perfekt!“, ergänzte Pia, das Alpaka. „Das ist die Lösung! Weg mit dem Pinsel. Macht die Ostereier, so wie ihr es könnt. Hauptsache, sie werden bunt. Olaf wird begeistert sein. Wir retten Ostern!“
Und ein weiteres Mal gingen alle Ratsmitglieder mit einem guten Plan ins eigene Gehege, um zu schlafen.
Am anderen Morgen bot sich ein lustiges Bild.
Karl, der Löwe, tunkte immer wieder seine Zottelmähne in einen Farbeimer mit roter und grüner Farbe, lief dann zur Schubkarre mit den neuen unbemalten Eiern und schüttelte seine Mähne, sodass einzelne rote und grüne Farbspritzer auf den Eiern landeten. So musste er sie nicht mit seinen Tatzen berühren und seine Krallen konnten die Schale nicht zerstören.
Elias, der Elefant, hatte sich Orange und Gelb in eine Wassertonne gefüllt, nahm mit seinem langen Rüssel einen großen Schluck und pustete dann mit voller Kraft die Farbe auf einen Haufen Eier, der auf dem Boden im Heu lag. So stand er weit weg von den zerbrechlichen Eiern und konnte sie nicht zertrampeln.
Pia, das Alpaka, das den Pinsel nicht halten konnte, benutzte ihre Zunge. Sie leckte zunächst Rosa und Lila aus dem Farbtopf und tupfte dann vorsichtig mit ihrer langen Alpaka-Zunge lustige Kleckse auf die unbemalten Eier.
Die nächsten zwei Wochen arbeiteten die Ratsmitglieder von morgens bis abends ohne Pause. Spät in der Nacht erstatten sie Lupus Leitwolf Bericht, der ebenfalls fleißig Pfotenabdrücke auf Eiern hinterließ.
Schließlich war es soweit. Der Abend vor Ostersonntag.
Alles im Zoo schlief. Außer vier.
Im Wolfsgehege breitete Lupus Leitwolf den Ostereier-Versteck-Plan vor den anderen aus und erklärte, an welchen Stellen die Ostereier versteckt werden sollten.
Dann weckte Lupus Leitwolf die anderen Hasen, Olafs Verwandte, im Wildgehege und zusammen mit Karl, dem Löwen, Elias Elefant, und Pia, dem Alpaka, verteilten sie die ganze Nacht Ostereier im Zoo.
Am nächsten Morgen wunderte sich die Tierpfleger.
Normalerweise sprang ihnen Lupus entgegen, wenn frisches Fleisch ins Gehege gebracht wurde. Aber Lupus schlief tief und fest.
Normalerweise brüllte Karl, der Löwe, um die ersten Besucher zu erschrecken, aber Karl lag zusammengerollt auf einem Stein und ratzte im Sonnenschein.
Normalerweise spritzte Elias Elefant die Kinder mit Wasser nass, aber er war unter einem großen Baum im Stehen eingeschlafen.
Und normalerweise hüpfte Pia, das Alpaka, durch das Gehege und lieferte sich Wettrennen mit den Kamelen, doch Pia schlief im Stall.
Hätten sie Olaf Osterhase gefragt, was mit den vieren los war, hätte er ihnen eine verrückte und lange Geschichte erzählen können. Doch dafür war heute keine Zeit.
Denn tausende Kinder liefen fröhlich lachend durch den Zoo und suchten die schönsten Ostereier, die die Welt bisher gesehen hatte. Manche hatten Kleckse, manche Tupfer, andere sogar Wolfspfoten. Es war der schönste Tag im Zoo und Lupus Leitwolf, Karl, der Löwe, Elias Elefant und Pia, das Alpaka, hatten ihn verschlafen.